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Marga Faulstich (1915-1998)

Marga Faulstich

Glas prägte ihr Leben

(von Jürgen Steiner)

Die Glaschemikerin Marga Faulstich gehörte zu den ersten weiblichen Führungskräften in der rheinland-pfälzischen Wirtschaft. Nach der Ansiedlung des weltweit renommierten Spezialglasherstellers Schott Glas in Mainz im Jahre 1952 war sie maßgeblich am Auf- und Ausbau des Bereiches Forschung und Entwicklung des größten Mainzer Industrieunternehmens beteiligt. Große internationale Anerkennung fand die Expertin für optische Gläser durch die Erfindung des Leichtgewichts-Brillenglases.

Marga Faulstich wurde am 16. Juni 1915 in Weimar geboren, wo Vater und Mutter als Bürovorsteher bzw. Sekretärin in einer Rechtsanwaltskanzlei arbeiteten. Als der Vater 1922 zu einer Verwaltungsbehörde in Jena wechselte (später wurde er zum Direktor berufen), übersiedelte die fünfköpfige Familie in die Saalestadt. Dort besuchte Marga Faulstich das Reformrealgymnasium, und schon bald entwickelte sie großes Interesse für die Naturwissenschaften. Dem Vorbild ihrer Mutter folgend, die mehr als dreißig Jahre berufstätig war, strebte Marga Faulstich nach der Reifeprüfung 1934 ins Berufsleben. Trotz der damals schwierigen Lage auf dem Arbeitsmarkt mit mehreren Millionen Arbeitslosen konnte sie im Juli 1935 eine Ausbildung als wissenschaftliche Hilfskraft im physikalisch-chemischen Labor des Jenaer Glaswerks Schott & Gen. beginnen. Das Jenaer Glaswerk war bereits damals der führende Hersteller optischer und technischer Spezialgläser in Europa. Faulstichs wichtigstes Aufgabengebiet in den ersten Jahren bei Schott war die Mitarbeit bei der Entwicklung sogenannter "dünner Schichten" auf dem Sektor optisches Glas. Heutige Beschichtungstechnologien für entspiegelte Brillengläser oder Schaufensterscheiben und für Sonnenschutzgläser für die Fassadenarchitektur gehen auf die damaligen Grundlagenforschungen zurück. Innerhalb weniger Jahre stieg Marga Faulstich von der Hilfskraft zur Laborantin, weiter zur wissenschaftlichen Assistentin und schließlich zur anerkannten Kollegin unter den durchwegs männlichen Wissenschaftlern auf. Der Verlust ihres Verlobten im Krieg bewog sie, sich vollends auf den Beruf zu konzentrieren. So begann sie 1942 neben ihrer Arbeit bei Schott das Studium der Chemie an der Universität Jena, das sie nach Kriegsende allerdings nicht fortführen konnte. Das Ende des Zweiten Weltkrieges und die unmittelbaren Folgen brachten für Marga Faulstich den markantesten Einschnitt in ihrer Lebensgeschichte. Dies hing mit der Vereinbarung der Alliierten zusammen, daß Thüringen und damit Jena zur sowjetischen Besatzungszone gehören sollte. Da die Amerikaner aber das bedeutende wissenschaftliche und technische Knowhow des Jenaer Glaswerks für den Westen sichern wollten, nahmen sie bei ihrem Rückzug kurzerhand 41 ausgewählte Spezialisten und Führungskräfte - darunter Marga Faulstich - mit in den Westen Deutschlands. Die damals Dreißigjährige erinnerte sich später: "Wir konnten nur das Nötigste von unserer beweglichen Habe in ein paar Kisten packen. Das war alles. Den Rest samt den Möbeln hinterließen wir Flüchtlingen aus Ostpreußen, die in unsere Wohnung einquartiert worden waren. Eines Morgens stand dann ein Lkw der US-Armee vor der Tür. Verwandte, Freunde und Nachbarn verabschiedeten sich unter Tränen, und wir fuhren los. Niemand wußte, was die Zukunft bringen würde." Diese Ereignisse sind als "Zug der 41 Glasmacher" in die Schott-Geschichte eingegangen. Zunächst folgten Jahre der Ungewißheit in Süddeutschland. 1949 gingen Marga Faulstich und ihre Kollegen daran, in Landshut ein Forschungslabor aufzubauen und an die Jenaer Arbeit anzuknüpfen. Darüber hinaus galt es, den Vorsprung der Amerikaner bei der Entwicklung neuer optischer Gläser aufzuholen. Nach der Enteignung des Stammwerkes in Jena 1948 und der Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 entschlossen sich die "41 Glasmacher" schließlich zum Aufbau eines neuen Hauptwerkes in zentraler Lage der Bundesrepublik. Die Wahl fiel auf Mainz. Das Werk wurde 1952 eröffnet, und mit dem Umzug des Forschungslabors von Landshut nach Mainz fand auch Marga Faulstich hier eine neue Heimat. In Mainz hat Marga Faulstich in verantwortlicher Position am Auf- und Ausbau der Forschung und Entwicklung von Schott Glas mitgewirkt. Sie hatte wesentlichen Anteil an der Entwicklung neuer optischer Gläser, wodurch die Herstellung besonders hochwertiger Objektive für Mikroskope, Ferngläser und andere optische Geräte zur Bilderzeugung möglich wurde. Zusätzlich zum Entwicklungslabor für optische Gläser leitete Marga Faulstich 16 Jahre lang die Produktion Tiegelschmelze, in der die besonders schwierig zu schmelzenden optischen Gläser gefertigt wurden. Neben den Forschungsarbeiten an klassischen optischen Gläsern befaßte sich Marga Faulstich auch mit Spezialgläsern für die Augenoptik. Ein großer Wurf gelang ihr mit der Entwicklung des hochbrechenden Leichtgewichts-Brillenglases SF 64. Brillenträger mit hohen Dioptrienzahlen haben dadurch zwei bedeutende Annehmlichkeiten erhalten: Die Brille wurde wesentlich leichter und zudem ästhetischer. Diese Innovation fand große internationale Anerkennung: Sie wurde in den USA als eine der hundert bedeutendsten neuen technischen Neuerungen des Jahres 1973 gewürdigt. Insgesamt hat Marga Faulstich an der Entwicklung von über 300 Typen optischer Gläser mitgewirkt. Annähernd 40 Patente tragen ihren Namen. Aufgrund ihren großen Fachkompetenz war sie bei internationalen Fachorganen und Kongressen als Autorin und Referentin sehr gefragt. Im privaten Bereich waren Reisen in ferne Länder und der Tennis-Sport ihre Lieblingsbeschäftigungen. Marga Faulstich war die erste weibliche Führungskraft bei Schott Glas. Nach 44jähriger Tätigkeit trat die dynamische und willensstarke Frau 1979 in den Ruhestand. Am 1. Februar 1998 starb sie im Alter von 82 Jahren in Mainz.

 

Quellen

Dieter Krause, Norbert Neuroth: Marga Faulstich 80 Jahre. In: Glastechnische Berichte. Glass Science and Technology 68 (1995) Nr. 6, S. N83-N85.

Glas prägte ihr Leben. Anerkannte Wissenschaftlerin Marga Faulstich wurde 80 Jahre alt. In: Schott intern 5/1995, S. 9.

Schott Glaswerke (Hrsg.): Von Jena nach Mainz - und zurück. Schott-Geschichte zwischen Kaltem Krieg und deutscher Wiedervereinigung. Mainz 1995.

Marga Faulstich: Dankrede anläßlich meines 40jährigen Dienstjubiläums im Juli 1975 (masch. Manuskript, Archiv Schott Glas).

Gewichtiger Preis für leichtes Glas. In: Schott intern 8/1973, S. 4-5. Neues Glas aus Mainz ersetzt künftig die "Bullaugen"-Brillen. In: Allgemeine Zeitung Mainz vom 25.10.1973, S. 13.