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Geschichtliche Landeskunde - Band 49

Peter Heil: Von der ländlichen Festungsstadt zur bürgerlichen Kleinstadt

Stadtumbau zwischen Deutschland und Frankreich Landau, Haguenau, Sélestat und Belfort zwischen 1871 und 1930. Mit 45 Abbildungen. Stuttgart 1999. 213 Seiten, geb. € 44,- ISBN 4-515-07427-9 (Sonderpreis für Mitglieder: € 5,-/Sonderpreis für Nicht-Mitglieder: € 7,50,-).

Im Mittelpunkt der Studie steht der Stadtumbau in vier kleinen Militär- und Festungsstädten des deutsch-französischen Grenzraums zwischen deutsch-französischem Krieg und Weltwirtschaftskrise. Die Konzentration auf kleinere und insofern für sich jeweils überschaubare Städte ermöglicht es, verschiedene Vergleichsaspekte zu untersuchen. Dies gilt für die Zusammenschau von Stadtplanungs- und Wohnungspolitik, für den nationalen und chronologischen Vergleich bis über die Zeit des Ersten Weltkriegs hinaus.

Die Studie ist sowohl für ein Fachpublikum als auch für den stadt- und regionalgeschichtlich interessierten Laien von Wert.

Einführung

Im Mittelpunkt der Studie steht der Stadtumbau in vier kleinen Militär- und Festungsstädten des deutsch-französischen Grenzraums zwischen Deutsch-französischem Krieg und Weltwirtschaftskrise. Die Konzentration auf kleinere und insofern für sich jeweils überschaubare Städte ermöglicht es, verschiedene Vergleichsaspekte zu untersuchen. Dies gilt erstens für die Zusammenschau von sowohl Stadtplanungs- als auch Wohnungspolitik, zweitens für den nationalen Vergleich und drittens für den chronologischen Vergleich über den bisher meist als Anfangs- oder Endpunkt von Entwicklungen gesehenen Ersten Weltkrieg hinweg. Diese Epochenscheide in einer Arbeit zu umschließen, erweist sich als fruchtbar. Mit Haguenau und Sélestat wurden zwei elsässische Städte, mit Landau in der Pfalz eine innerdeutsche und mit Belfort eine innerfranzösische Gemeinde ausgewählt. Die drei durch den französischen Festungsbaumeister Vauban unter Ludwig XIV. ausgebauten Festungen Landau, Sélestat und Belfort waren bis zum Deutsch-französischen Krieg noch von ihren umfangreichen Verteidigungsanlagen eingeschnürt und in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung stark gehemmt. Sie wiesen 1871 nahezu identische Ausgangsbedingungen in bezug auf Größe, vor allem aber in bezug auf ihre bauliche Struktur auf. Haguenau wies ähnliche wirtschaftliche und soziale Voraussetzungen auf und eignet sich als Garnisonsstadt für den Vergleich mit diesen drei Städten sehr gut. Die weitere Entwicklung dieser Gemeinden nach dem Deutsch-französischen Krieg - das Streben nach Entfestigung und der sich daran anschließende Stadtumbau - bedeutete einen gewaltigen Modernisierungsschub in den kleinen Städten, die zwischen "plattem Land" und moderner Gründerzeit-Großstadt standen und an denen sich daher wie unter einem Brennglas Probleme der Modernisierung erkennen lassen. Die ländlichen Festungsstädte wandelten sich zwischen 1871 und 1930 zu bürgerlichen Kleinstädten. Dieser fundamentale Wandel wurde von den Zeitgenossen intensiv gefördert und diskutiert. Es ging um die äußerlich sichtbare Umgestaltung der Städte, in der sich ein erheblicher sozialer Wandel spiegelte. Bürgerliche Normen von Wohn- und Stadtformen setzten sich dabei sowohl "nach oben" gegen Militär und Staat als auch "nach unten" gegen traditionale Lebensweisen durch. Gleichzeitig setzten sich die bürgerlichen kleinstädtischen Eliten, die die neuen Wohn-, Stadt- und damit Lebensvorstellungen von größeren Städten in einem vorsichtigen Prozeß übernahmen, durch die neuen Leitbilder auch selbst unter Druck: Wer bürgerliche Wohnformen für alle propagierte, mußte auch bürgerliche Wohnungen für alle bauen. Dies gelang sowohl in Deutschland als auch in Frankreich vor dem Ersten Weltkrieg nur unzureichend. Nach dem Krieg allerdings konnten alle vier Städte auf eine beachtliche, durch Gemeinden und Genossenschaften getragene Bauproduktion verweisen, auch in Landau, obwohl dort durch die französische Besatzung erhebliche Komplikationen auftraten. Die Auswirkungen der militärischen Einquartierungen und Wohnraumrequisitionen dürften die einschneidendsten alltäglich spürbaren Probleme in der rheinisch-pfälzischen Besatzungszone gewesen sein und belasteten das Verhältnis von Besatzung und Bevölkerung erheblich. Die Mittel und Wege der deutschen und französischen Städte im Wohnungsbau und in der Stadtplanung waren durchaus unterschiedlich, was maßgeblich, aber nicht ausschließlich am unterschiedlichen Verhältnis von Staat und Gemeinden in beiden Ländern lag. Den kommunalen Schwächen in Frankreich setzten kleinstädtische Notabeln allerdings ein ausgeprägtes privates Engagement entgegen, daß dem von deutschen Honoratioren in Gemeinderäten nicht nachstand. Wesentlich bleibt, daß die an bürgerlichen Wohnvorstellungen orientierten Leitmotive in beiden Ländern sowie Planung und Baupraxis sich stark ähnelten. Abschließend wird in der Arbeit die neue symbolische Abgrenzung der Städte nach der Entfestigung untersucht: Die entgrenzten Städte ohne Festungen, die nun ins Umland wuchsen, mußten sich neu definieren, um als Einheit erkennbar und anerkannt zu bleiben. Dem dienten Denkmale. Besonders aufschlußreich war in diesem Zusammenhang die zeitgenössische Uminterpretation der alten Festungswerke von das Wachstum behindernden Verteidigungsanlagen in historische Denkmale. Die Studie richtet sich zum einen an ein Fachpublikum, das mit aktuellen geschichtswissenschaftlichen Diskussionen vertraut ist und das an der Arbeit als exemplarischem Beitrag zur Entwicklung von Bürgertum, Urbanisierung und Fragen des Grenzraums interessiert ist. Zum anderen ist das Buch mit Blick auf den an der Stadt- und Regionalgeschichte interessierten "Laien" verfaßt worden. Für die Geschichtswissenschaft bietet sich in der Landes und Regionalgeschichte zweifellos ein sehr dankbares und wichtiges Feld, über die Grenzen der eigenen Disziplin hinaus Ergebnisse einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Allgemeine und an dieser Stelle notwendigerweise relativ abstrakt zusammengefaßte Ergebnisse lassen sich in den ausgewählten Städten sehr anschaulich erklären: Wenn etwa ein Friseurmeister den großen Stadtumbau Landaus am Ende des 19. Jahrhunderts aus seiner Sicht beschreibt, ist dies eine historiographisch ungewöhnliche und spannende Quelle, die eine Orts- und Regionalstudie lebensnah verankern läßt.

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Bürgerliche Stadt statt Festungsstadt

3. Bürgerliche Stadt statt Ackerbürgerstadt

4. Der Plan für die neue bürgerliche Stadt

        1. Die Professionalisierung der Stadtverwaltungen

        2. Die Produktion von Stadt 1871 bis 1914

        3. Die Produktion von Stadt 1918 bis 1930

5. Der Plan für das bürgerliche Wohnen

        1. Freiheit und Ordnung des Bauens 1871 bis 1914

        2. Wohnraum für alle 1871 bis 1914

        3. Wohnraum für alle 1914 bis 1930: Haguenau, Sélestat und Belfort   

        4. Wohnraum für alle 1914 bis 1930: Landau

6. Denkmal statt Stadtmauer: Neue Formen der städtischen Identitätsbildung

7. Zusammenfassung

8. Quellen- und Literaturverzeichnis

9. Kartenhanhang

10. Orts- und Personenregister