Logo des InstitutsInstitut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e.V.

Fußball Weltmeister Philipp Lahm und unsere Familiennamen

Ein Beitrag von Rudolf Steffens

© Agência Brasil / CC BY 3.0 BR (https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/br/deed.en)

Wenngleich in diesen coronösen Zeiten sportliche Aktivitäten weitgehend zum Stillstand gekommen sind, können sich noch viele Menschen an den 13. Juli 2014 erinnern: bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien kann Deutschland im Maracana-Stadion in Rio de Janeiro im Endspiel Argentinien mit eins zu null besiegen. Der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft Philipp Lahm (geb. 1983) und Spielführer des FC Bayern München nimmt anschließend vom damaligen Präsidenten der FIFA Sepp Blatter den Weltmeister-Pokal entgegen.

Wie man der Homepage des FC Bayern entnehmen kann, machen die Spieler zur Zeit so etwas wie Homeoffice. Es findet nämlich Cyber-Training zu Hause statt (weil Training im Freien verboten ist). Trainer Hansi Flick hat Videos mit Körperübungen zusammengestellt, die die Spieler in der eigenen Wohnung ansehen und ausführen müssen, damit sie nicht lahm werden.

Zurück zu Philipp Lahm. Wie kann denn so ein flinker Fußballspieler wie er einen Familiennamen haben, der gar nicht zu ihm ›passt‹? Was ist das überhaupt für ein Name?

Unsere Familiennamen (die zu den Personennamen gehören) speisen sich aus fünf Bereichen. Die häufigsten Familiennamen sind solche aus Berufsbezeichnungen. Hier wäre der Namen des Fußballspieler Thomas »Müller« zu nennen. Andere Namen aus dieser Gruppe sind »Bauer«, »Fischer« oder »Schmidt«. Es handelt sich um direkte Berufsnamen. Eine Untergruppe hierzu sind die indirekten Berufsnamen. Sie können auf Produktbezeichnungen zurückgehen wie »Nagel« für den Nagelschmied oder »Semmel« für den Bäcker. Dann gibt es die Familiennamen aus Rufnamen. Das können heimische (germanische) Namen wie »Friedrich« und »Hermann« oder fremde (meist biblische) Namen wie »Jakob« und »Matthäus« sein. »Berg/Berger«, »Brück/Brückner« sind Namen nach der Wohnstätte. Namen wie »Adenauer« oder »Oppenheimer« sind aus Ortsnamen abgeleitet. Es sind Herkunftsnamen. Der fünfte und letzte Bereich sind die Übernamen. Namen wie »Braun«, »Schwarz« oder »Weiß« verweisen auf körperliche Merkmale (Haut-, Haar- oder Bartfarbe). Geistig-charakterliche Eigenschaften führen zu Namen wie »Fröhlich«, »Grimm« oder »Sauer«.

Der Familienname »Lahm« ist ein Übername nach einem körperlichen Merkmal. Der erste Namenträger war ein Mensch, der sich nur langsam bewegte (vielleicht, weil er ein körperliches Gebrechen hatte). Dieser Name konnte nun vererbt werden: die Nachkommen des ersten »Lahm« hießen nun »Lahm«, aber sie waren nicht lahm. Der Name hat jetzt mit körperlichen Eigenheiten dieser Nachkommen nichts mehr zu tun. Im aktuellen Telefonverzeichnis der Deutschen Telekom (DVD Festnetzanschlüsse) kommt der Name »Lahm« auf knapp über 1200 Einträge.

Im Band 5 des »Deutschen Familiennamenatlasses« von Konrad Kunze und Damaris Nübling (erschienen 2016) wird die geographische Verbreitung von ausgewählten Übernamen gezeigt. Namen nach der Körpergröße: »Klein«, »Kurz«, »Lang«; nach dem Körperumfang: »Klumpp«, »Mager«, »Schmahl«; nach Haarwuchs und Haarfarbe: »Groh«, »Kahl«, »Strobel«, »Weiß«; Namen nach Körperteilen, z. B. Augen, Ohren, Nase, Wangen, Mund: »Blind, »Daub, »Langnese«, »Maul«, »Oehrle«, »Scheel«, »Schiller«, »Schnabel«, »Zink«.

Am Mainzer IGL wird seit Jahren über Personennamen geforscht. Eine Buchpublikation von Rudolf Steffens aus dem Jahre 2019 trägt den Titel »Die Familiennamen der Reichsstadt Frankfurt im 15. Jahrhundert« (erschienen im Universitäts-Verlag Röhrig in St. Ingbert). In der Mainzer Nachbarstadt sind die (handschriftlichen) Bürgerbücher des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit komplett erhalten. Die oben angeführte Publikation wertet die Familiennamen des 15. Jahrhundert aus: sie werden gedeutet und etymologisiert und einem der fünf Bereiche, aus denen sich die Familiennamen speisen, zugewiesen. Der Familienname »Lahm« ist hier nicht nachweisbar. Aber im Jahre 1468 wird eine Person ins Bürgerbuch eingetragen, die offenbar ein körperliches Gebrechen hatte: »Pederchin hoffman mit der lamen hand«. Im folgenden sollen aus den Frankfurter Bürgerbüchern einige ausgewählte Übernamen dokumentiert und erläutert werden (dabei wird jeweils die Jahreszahl der Eintragung angegeben).

»Alt-« in 1431 »Henne Hilcze von Ruszelsheim, den man nennt Aldehenne, schiffknecht« verweist auf das Lebensalter des Namenträgern. Mehr als ein Jahrzehnt später ist im Jahre 1448 »Volmar, Aldehennen son« verbucht. Es dürfte sich um Vater und Sohn handeln.

1440 »Wenczel Backe«: dieser Mann hatte wohl eine auffällige Backe (Wange).

Im Jahre 1448 lässt sich »Peter Bernfusz« (›Bärenfuß‹) ins Bürgerbuch eingetragen . Er dürfte auffällige (große, breite) Füße gehabt haben. Ähnlich der Eintrag des Jahres 1448 »Concze Neyle genant Breitfusse von Delkenheim«.

Mehrfach ist der Name »Blau« vorhanden, z. B. 1439 »Bertold Blawe hudemecher«. Das wird ein Übername nach der bevorzugten Kleidung des ersten Namenträgers sein. Hierher auch der Name »Blaurock«: 1440 »Henne Blarock«. »Rock« ist hier eine Bezeichnung für eine Männerjacke.

1460 »Heinrich Pote von Otszberg sniider«. Hier dürfte eine Person mit unschönen Händen gemeint sein. »die Pot« ist die rheinfränkische Bezeichnung für die Tierpfote und eben auch für die Hand von Menschen.

Ein geschäftiger, unruhiger und umtriebiger Mensch kann als »Hummel« bezeichnet werden. Diese Bezeichnung kann zum erblichen Familiennamen werden. Im Frankfurter Bürgerbuch ist 1445 »Hans Bromme« eingetragen. »Bromme« ist die rheinfränkische Bezeichnung für die Hummel.

1432 »Jeckel Donner seiler«: beim ersten Namenträger dürfte es sich um einen leicht aufbrausenden Menschen gehandelt haben.

Vorstellung der Hinrichtung von Johann Bückler. Holzschnitt des Offenbacher Formschneiders Moses aus einem Kalenderblatt (© Stadtarchiv Mainz)

Bei 1437 »Herten Dorchdenbusch« liegt ein Übername für einen Fahrenden, einen Landstreicher vor. Zudem handelt es sich um einen Satznamen »durch den Busch«. Hier sei an den Räuberhauptmann Johannes Bückler (in Mainz im Jahre 1803 hingerichtet) erinnert, den man »Schinderhannes«, aber auch »Johannes durch den Wald« nannte.

Auf das leichenblasse Aussehen des ersten Namenträgers dürften sich Namen beziehen, die mit dem Wort »Tod« erklärt werden können: 1440 »Dot Henne weber«. Farbadjektive wie »braun«, »gelb« (mittelhochdeutsch »gel«), »golden«, »grau« (mittelhochdeutsch »gra«) »schwarz« oder »weiß« dürften sich auf Haar- oder Bartfarbe (oder die Haut) beziehen: 1440 »Heincz von Arheilgen gnant Brunheincze«, 1467 »Hans Gele, Peter des drompters son«, 1424 »Henne vom Rodde gnand Guldenbart«, 1465 »Hans Graman von Friczelar sniider«, 1439 »Swarczhans von Frideberg bartscherer«, 1440 »Peter Wiisz schumecher«. Im folgenden Fall ist der Bezug zur Haarfarbe offensichtlich: 1429 »Else, eczwan Herman Wiiszhars selgen dochter«.

Auf einzelne Körperteilen des Menschen (die offenbar bestimmte Auffälligkeiten zeigten) wie Augen, Beine, Füße, Kopf, Mund beziehen sich folgende Frankfurter Familiennamen: 1424 »Heincze Engeauge von Elszfelt«, 1444 »Bernhard Rattenauge beder von Eger«, 1421 »Concze von Rostorff budeler gnant Holebein«, 1432 »Stregbein winknecht«, 1450 »Peter Krompbein von Twingenburg«, 1459 »Sifrid Hackfusz kurssener«, 1440 »Rule Snabel«.

Gleich mehrfach ist der Name »König« vorhanden, z. B. 1459 »Johannes Konig schriber«. Solche Namen (auch »Abt«, »Graf«, »Kaiser«, »Landgrave«, alle in Frankfurt im 15. Jh. vorhanden) sind keine Namen aus Berufsbezeichnungen, sondern Übernamen. »Johannes Konig« ist nicht König, er ist Schreiber und heißt »Konig«. Wie solche Namen entstanden sind, ist meist nicht mit letzter Sicherheit zu klären. Wer »Kaiser« heißt, hatte möglicherweise irgendwelche Beziehungen zu einem Kaiser oder verhielt sich wie ein Kaiser (was immer man sich darunter vorzustellen hat).

Auf geistig-charakterliche Eigenschaften verweisen folgende Namen: für misslaunige oder gar böse und streitlustige Menschen entstanden Namen wie 1440 »Boshenne arbeider«, 1445 »Folcze Drache von Mulhusen huffsmyd«, 1406 »Concze Sure« (›sauer‹), 1426 »Peter Schrecke von Geilnhusen«, 1447 »Clas Ubelheupt von Diepurg decklecher«. Die ersten Namenträger, die die Namen 1442 »Conrad Holczappel« oder 1440 »Hennechin Holczenheupt« erhielten, dürften schwierige Zeitgenossen gewesen sein. Auf fröhliche und gut gelaunte Menschen verweisen Familiennamen wie 1462 »Herman Frolich von Heidelberg sedeler«, 1409 »Clesechin Fromud«, 1434 »Concze Hofelich von Heidelberg becker«, 1408 »Heile Lachmont« (›Lachmund‹), 1417 »Stephan Wolgemut«.

Mit den Namen erfahren wir etwas über spätmittelalterliche Essgewohnheiten: 1432 »Heinricus Hirnworst schriber«, das dürfte ein Übername für einen Schlemmer sein, der gern Würste mit dem Hirn von Rindern und Schweinen verspeist. Als Kaldaunen werden die Eingeweide von Schlachttieren bezeichnet. Das Wort ist in Frankfurt zum Familiennamen geworden: 1454 »Gabriel Caldune glockener zu Sassenhusen«.

Auf Trinker verweisen Namen wie 1440 »Heinrich Schudewin (›Schüttwein‹) kurssener«, 1440 »Henne Sturczenkrug (›ich stürze den Krug‹) gertener«, 1462 »Hans Drinckusz (Trinkaus) kistener«.

Damit soll dieser kursorische Überblick über Frankfurter Übernamen im 15. Jahrhundert beendet werden. Zurück zu Philipp Lahm, der inzwischen Münchener Ehrenbürger geworden ist. Wir wünschen seiner Philipp-Lahm-Stiftung, dass sie weiterhin benachteiligte Kinder und Jugendliche fördert und in ihrem Engagement nicht erlahmt.