Heistenbach im Rhein-Lahn-Kreis

Zur Geschichte von Heistenbach

Heistenbach feiert im Jahr 2019 sein 700jähriges Bestehen.[Anm. 1]. 1319 wurde der Ort erstmals in einer Urkunde des St. Marienstifts zu Diez erwähnt. Die Gemarkung war indes schon zuvor besiedelt, wenn auch möglicherweise nicht dauerhaft. Zeuge für die frühe Besiedlung sind mehrere Hügelgräber, die zum Großteil aus der Hallstattzeit (ca. 800-450 v. Chr.) stammen. Das heute noch bestehende Dorf wurde wohl im 12. oder 13. Jahrhundert gegründet. Heistenbach lag in Reichweite zweier mittelalterlicher Fernstraßen, wobei es sich zum einen um die Lahnstraße, zum anderen wohl um einen Zubringer zur „Hohen“ bzw. Kölnischen Straße (Frankfurt-Limburg-Elz-Köln) handelte.[Anm. 2]

Der Name „Heistenbach“ bezieht sich wohl auf den mittelhochdeutschen Begriff „Heister“, eine Bezeichnung für junge Bäume. Die Schreibweise des Ortes war in den ersten Jahrhunderten uneinheitlich, sowohl „Heistenbach“ als auch „Heystenbach“ sind in den Quellen anzutreffen. Erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts setzte sich die Schreibweise „Heistenbach“ durch.  Das 1816 geschaffene Wappen des Ortes zeigt einen silbernen Laubbaum auf grünem Boden vor rotem Hintergrund.[Anm. 3]

Für die frühe Ortsgeschichte spielten die Grafen von Diez eine entscheidende Rolle. Allerdings waren im Ort nicht nur sie, sondern auch zahlreiche Stifte und Klöster aus der Region begütert. Hier sind vor allem das Kloster Dirstein und das Marienstift in Diez zu nennen, wobei das Marienstift neben einem Hof auch das Anrecht auf den Zehnten innehatte.[Anm. 4] Die Grafschaft Diez, zu der auch Heistenbach gehörte, fiel 1386 an Adolf von Nassau-Dillenburg. Ab 1420 wurde die Grafschaft gemeinsam von Engelbert von Nassau-Dillenburg und Haus Eppstein regiert Bis 1564 konnten die Grafen von Nassau-Dillenburg das Territorium aber wieder in ihren alleinigen Besitz bringen.  In der Folge wird dieser Besitz, zu dem auch Besitzungen in Heistenbach zählten, als Grafschaft Nassau-Diez bezeichnet.[Anm. 5]

Durch den am 27. Juli 1564 geschlossenen „Diezer Vertrag“ zwischen Nassau-Diez und der Diözese Trier wurde die Trennung der Grafschaft vom Kurtrierischen Besitz geregelt. Graf Johann VI. von Nassau-Dillenburg führte in der Folge in seinem Territorium die Reformation durch. Von der Abgrenzung zwischen Kurtrier und der Grafschaft künden noch heute einige Grenzsteine, etwa an der Gemarkungsgrenze zwischen Heistenbach und Görgeshausen.[Anm. 6]

Im 17. Jahrhundert wurde Heistenbach von den Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648), aber auch von Missernten schwer getroffen. 1643 lebten in dem Ort nur noch vier Familien mit zusammen 16 Personen. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts hatte sich die Bevölkerungszahl nur leicht erholt. Indes kam es auch hier in rascher Folge zu Missernten. Diese Missernten sowie das Werben des preußischen Königs Friedrich Wilhelm sorgten wohl dafür, dass zwischen 1723 und 1725 sechs Heistenbacher – wohl mit ihren Familien – das Dorf verließen, um in Ostpreußen eine neue Heimat zu finden.[Anm. 7]

Am Ende des 18. Jahrhunderts war die Bevölkerung auf annähernd 200 Personen angewachsen. 1795 und 1796 waren Diez und Heistenbach Schauplätze einer Schlacht des Ersten Koalitionskriegs (1792–1797) zwischen den französischen Revolutionstruppen und einer Koalition zahlreicher europäischer Mächte. 1806 wird die Gemeinde Teil des Herzogtums Nassau. 1866 annektiert Preußen das Herzogtum.

Im 19. Jahrhundert hinterließ vor allem die Industrialisierung in Heistenbach Spuren. Dies bietet Gelegenheit, in aller Kürze auf die Geschichte der Heistenbacher Wirtschaft einzugehen. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war die Landwirtschaft der unangefochten dominierende Erwerbszweig des Ortes. Zwischen 1328 und der Mitte des 16. Jahrhunderts hatte in der Lahngegend und in Heistenbach auch der Weinbau floriert, bevor Kriege und ein veränderter Kundengeschmack im 17. Jahrhundert den Niedergang des Weinbaus an der Lahn einleiteten. Größere Umwälzungen brachte erst wieder die sogenannte Industrialisierung. Eine Kalkbrennerei hatte es im Ort zwar schon seit dem 17. Jahrhundert gegeben, aber erst mit dem Bau der Eisenbahn 1862 erlebte diese einen deutlichen Aufschwung. Ähnliches gilt auch für den Bergbau. Ab 1824 wurden viele Standorte um Heistenbach auf ihren Eisengehalt hin untersucht. Die Zahl der Bergwerke erreichte um 1858 ihren Höhepunkt, aber bereits 1862 und 1863 gingen die Vorräte des zunächst abgebauten manganhaltigen Brauneisensteins zur Neige. Weitere, zunächst weniger beachtete Funde in der Gegend wurden einer Untersuchung unterzogen, jedoch waren die dortigen Lager nicht sehr groß. 1883 wurde in Heistenbach zum letzten Mal Eisenstein gefördert. Ebenfalls einen Aufschwung erlebte im 19. Jahrhundert die Ziegelbrennerei. Ähnlich wie die Kalkbrennerei war diese grundsätzlich kein neues Gewerbe in Heistenbach, sie entwickelte sich allerdings erst im 19. Jahrhundert zu einem veritablen Wirtschaftszweig. Die „Ziegelei St. Peter“, bekannter unter dem Namen „Port Arthur“, beschäftigte dabei 25 Arbeitskräfte, die fast ausnahmslos aus Italien stammten. Die Ziegelbrennerei bestand bis etwa 1930.[Anm. 8] Weitere Faktoren des Heistenbacher Wirtschaftslebens waren bis etwa 1960 der Abbau von Marmor, bis etwa 1939 eine Gerberei und bis in die 1920er Jahre hinein eine bzw. mehrere Mühlen am namensgebenden Wasserlauf.[Anm. 9]

Bevölkerungsentwicklung von Heistenbach

JahrZahl der EinwohnerZahl der Familien[Anm. 10]
1616-16
1633-11
1643164
164721-
171016-
171679-
1804192-
1843285-
1871381-
1905471-
1939529-
1969889-
1987941-
20061163-
20171047-

Das 19. Jahrhundert brachte für Heistenbach nicht nur erhebliche Umwälzungen im wirtschaftlichen und demographischen Bereich mit sich, sondern auch politische Reformen. 1848 konnten die Heistenbacher dank der neuen nassauischen Gemeindeordnung erstmals ihren Bürgermeister selbst wählen. 1871 wurde Heistenbach Teil des deutschen Reiches. Politisch dominierte zunächst die liberale Fortschrittspartei, ab 1893 zumeist die nationalliberale Partei. Jedoch erzielten auch die Sozialdemokraten um die Jahrhundertwende große Erfolge im Raum Diez und in Heistenbach.  

Nach dem Ersten Weltkrieg und der Gründung der Republik konnte die SPD kurzzeitig große Erfolge in Heistenbach erzielen. 1924 erhielt sie bei der Reichstagswahl über 60 Prozent der dort abgegebenen Stimmen. Ab 1930 erlebte jedoch die NSDAP einen raschen, mit Aufkommen der Wirtschaftskrise dann beispiellosen Zulauf. Im Juli 1932 gaben über 70 Prozent der Heistenbacher Wähler ihre Stimme der Partei Hitlers. Die Machtübernahme gestaltete sich ähnlich wie in weiten Teilen des heutigen Rhein-Lahn-Kreises: Hissen der Hakenkreuzflagge, Ernennung Hitlers und Hindenburgs zu Ehrenbürgern und die Umbenennung von Straßen zu Ehren der neuen Machthaber (Adolf-Hitlerstraße, Hindenburgstraße, Franz Seldtestraße). Größere Konflikte innerhalb der Dorfgemeinschaft scheinen danach hauptsächlich auf kirchlichem Gebiet entstanden zu sein. Der Heistenbacher Pfarrer hatte sich 1933 dem aus Protest gegen die NS-Kirchenpolitik entstandenen „Pfarrernotbund“ angeschlossen, während zahlreiche Mitglieder, der NS-Politik folgend, die Kirche verließen.[Anm. 11]  

Im Zweiten Weltkrieg wird die Gemeinde im März 1945 von einem Bombenangriff getroffen. Bei dem Angriff, der möglicherweise einem Militärlastwagen galt, wird ein Heistenbacher getötet. 18 Tage später besetzen amerikanische Truppen den Ort. Im Juli lösen französische Truppen die amerikanische Besatzung ab. Heistenbach wurde Teil der französischen Besatzungszone und damit auch des neuen Bundeslandes Rheinland-Pfalz.[Anm. 12] Heistenbach wandelte sich bis 1958 von einem Agrar- in ein Arbeiterdorf. Seit 1969 gehört Heistenbach zum Rhein-Lahn-Kreis. Seit 1972 ist es Teil der Verbandsgemeinde Diez. Anfang der 1990er Jahre überschritt die Einwohnerzahl die Gemeinde erstmals die Marke von 1000 Einwohnern.[Anm. 13]

Verfasser: Christoph Schmieder

 

Verwendete Quellen und Literatur:

  • Gensicke, Helmut: Landesgeschichte des Westerwalds. Wiesbaden 1958 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau, 13; Neudruck 1999).
  • Ortsgemeinde Heistenbach (Hg.): Festschrift 700 Jahre Heistenbach 1319-2019. Heistenbach 2019.
  • Schlierike, Harald: Heistenbach. Dorf zwischen Ley und Lahn. Beiträge zur Ortsgeschichte. Heistenbach 1997.

Letzte Bearbeitung: 06.12.2019

Anmerkungen:

  1. Ortsgemeinde Heistenbach 2019. Zurück
  2. Schlierike 1997, S. 10–21 Zurück
  3. Schlierike 1997, S. 12-14. Bei dem Laubbaum handelt es sich möglicherweise um eine Linde am Brunnen von Heistenbach, die 1891 einem Unwetter zum Opfer fiel. Zurück
  4. Schlierike 1997, S. 22f. Zurück
  5. Gensicke 1958, S. 245–250 Zurück
  6. Schlierike 1997, S. 30–33. Zurück
  7. Schlierike, S. 33f., S. 153. Zurück
  8. Schlierike 1997, S. 58f., S. 82f., S. 99–101 Zurück
  9. Schlierike 1997, S. 87–93, S. 113–115 Zurück
  10. Angaben nach Schlierike 1997, S. 153-156; Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz. Zurück
  11. Schlierike 1997, S. 263–265, S. 272–278. Details über den Kirchenkampf und die Auswirkungen der NS-Herrschaft auf Heistenbach sind indes nicht bekannt. Das Thema wird von Schlierike nicht ausgespart, dieser beschränkt sich aber auf eine Auflistung einiger Ereignisse in Form einer Zeittafel. Zurück
  12. Schlierike 1997, S. 280–282 Zurück
  13. Schlierike 1997, S. 153–156 Zurück