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Prof. Dr. Andreas Rödder (Mainz): Zwischen Besatzung und Besetzung: Möglichkeiten und Grenzen deutsch-französischer Verständigung zwischen den Weltkriegen.

Als Andreas Rödder, Lehrstuhlinhaber für Neueste Geschichte in Mainz, am Donnerstagabend das Podium im Erbacher Hof bestiegen hatte, glaubte er es dem Plenum im gut gefüllten Kardinal-Volk-Saal zunächst schuldig zu sein, seinen legeren Aufzug ohne Schlips zu erklären, und hielt als Beweisstück seine der Weiberfastnacht zum Opfer gefallene Krawatte in die Höhe. Mit nicht weniger Verve bestritt er auch seinen Vortrag, der unter dem Titel „Zwischen Besatzung und Besetzung“ die „Möglichkeiten und Grenzen deutsch-französischer Verständigung zwischen den Weltkriegen“ auszuloten versuchte.

Der Referent versäumte nicht, regionale Ereignisse im großen historischen und globalen Rahmen zu sehen, doch den roten Faden bildeten die Auseinandersetzungen um die von den Alliierten besetzten linksrheinischen Gebiete, die laut Versailler Vertrag in drei Schritten innerhalb von 15 Jahren geräumt werden sollten. Mit den hoffnungsvollen Gesprächen zwischen Außenminister Stresemann und seinem französischen Kollegen Briand in Thoiry am 17.9.1926, die Rödder als Ausgangspunkt seiner Betrachtungen wählte, und dem Einmarsch dreier deutscher Bataillone ins Rheinland 1936 unter Hitler, der am Ende des Vortrags stand, sind die zwei Extreme deutsch-französischer Beziehungen vor dem Kriegsausbruch markiert.

War der Krieg, der ja schon im Ruhrkampf wieder am Horizont erschienen war, vorprogrammiert? Angesichts der stark divergierenden Interessen von Deutschland, das sich der „Schmach von Versailles“ entledigen wollte, und Frankreich, das seinen Sicherheitsinteressen gegenüber Deutschland absolute Priorität einräumte, war ein „Ausgleich im Sinne von Versöhnung“ wohl tatsächlich illusorisch. Wie schon in seiner Dissertation legte Rödder jedoch dar, dass es neben dem „Verständigungsrevisionismus“ eines Stresemann und dem „Konfrontationsrevisionismus“ der nationalistischen Rechten – einer Richtung, die sich unter Hitler radikalisieren sollte – auch die Option eines gemäßigten „Verhandlungsrevisionismus“ gab, an dem sich Stresemanns Nachfolger Curtius versuchte.

Eine Koexistenz auf der Basis international kompatibler Interessen, um nach und nach zu einem Ausgleich zu gelangen – dies wäre ein Szenario gewesen, der als durchaus realistische Alternative zum Krieg gelten dürfte. Doch ein solcher Modus vivendi hätte der Zeit bedurft – Zeit, die es nicht gab: Curtius wurde als zu schwach empfunden und zu Fall gebracht. „Am Ende sprachen die Waffen“, so Rödder lakonisch. Wie aus „Feinden“ schließlich „Freunde“ wurden, als es an der Grundvoraussetzung der Zeit nicht fehlte, wird die französische Gastreferentin Corine Defrance am 27.2. erkunden.

(Karsten Lorek)