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Erinnerungsorte in Rheinland-Pfalz

Vortragsreihe Januar-März 2013

Der Veranstaltungsflyer zur Vortragsreihe 2013

Der von Pierre Nora für Frankreich entwickelte Begriff und das Konzept der "lieux de mémoire" haben in den letzten Jahren einen großen Erfolg auch in anderen europäischen Ländern gehabt, vor allem in Deutschland. Hier erschienen nicht nur drei starke Bände über Deutsche Erinnerungsorte, Erinnerungsorte des Christentums, des Mittelalters, sondern es gab auch intensive theoretische Diskussionen, bis hin zu Doktorarbeiten, zum Konzept von Erinnerungsorten, seiner historischen Verankerung und Durchführung. ‚Erinnerungsorte‘ umfassen nicht nur Orte, Bauwerke im engeren Sinne, sondern auch Ereignisse, Symbole, Begriffe, Materielles und Immaterielles, mit denen historische Erinnerung verknüpft ist. Diese Erinnerung kann eine lange Dauer haben, ist in politische, soziale und kulturelle Gemeinschaften eingebettet, wandelt sich aber, je nachdem wie sie wahrgenommen, angenommen, abgelehnt (‚vergessen‘), übertragen oder neu konstruiert wird.

Im Jahr der Wissenschaft 2011 in Mainz fanden Vorträge über Mainzer Erinnerungsorte großen Anklang. Unsere Vortragsreihe präsentiert eine Auswahl möglicher Erinnerungsorte im Lande, vom Deutschen Eck und der Burg Waldeck, bis zum Speyerer Dom, der Heiligrockwallfahrt und dem 1. FC Kaiserslautern.

 

Programm:

  • Dienstag, 08.01.2013 (Erbacher Hof)
    Der Dom zu Speyer: Funktion, Memoria und Mythos (Prof. Dr. Stefan Weinfurter, Heidelberg)
    Der Dom zu Speyer zählt nicht nur zum Weltkulturerbe, sondern galt schon den Zeitgenossen als „bewundernswert“, „berühmt“, als „königliches Bauwerk“ und „herrlich sich hoch erhebende Kirche“. In der Tat wurde mit diesem Bau etwas gänzlich Neues geschaffen, was es in der Dimension und der Bautechnik bis dahin nördlich der Alpen nicht gab. Es war nicht nur die Gottesverehrung der salischen Kaiser, die ein derartiges Kunstwerk hervorbrachte, vielmehr stand der Dom als Symbol für eine gesellschaftliche und politische Ordnung und bildete so etwas wie ein Verfassungsdenkmal. Immer wieder wurden Könige und Kaiser dort bestattet und am Ende wurde er zum Erinnerungsort für eine Epoche, in der Welt und Kirche im christlichen Europa eine Einheit bildeten. Der Vortrag will die entscheidenden Stationen in der Geschichte des Speyerer Doms vorstellen und deutlich machen, dass Erinnerung und Mythos die besondere Bedeutung der Frühzeit verarbeiten.
  • Dienstag, 22.01.2013 (Haus am Dom)
    Die „Jugendburg“ Waldeck im Hunsrück (Dr. Stefan Krolle, Achim)
    Dr. Stefan Krolle spricht heute Abend im Haus am Dom in Mainz über die 'Jugendburg' Waldeck im Hunsrück - ein Bauwerk, das bis ins 13. Jh. zurückzuverfolgen ist und das seit dem frühen 20. Jahrhundert als Ort für Jugendbegegnungen bekannt ist.
    Viele internationale Jugendprogramme fanden auf der Burg statt bzw. hatten dort ihren Ausgang. Eine Vorreiterrolle in der deutschen Festivalgeschichte besitzt das Gelände aufgrund der sogenannten 'Burg-Waldeck-Festivals', die in den 1960er Jahren stattfanden.
    Der Vortrag widmet sich nicht nur der Geschichte der Burg, sondern legt den Fokus auf die interkulturelle und toleranzfördernde Geschichte der Burg im 20. Jahrhundert. Auch die 'dunklen' Jahre des Nationalsozialismus und ihre Bedeutung für die Burg werden thematisiert.
  • Mittwoch, 06.02.2013 (Haus am Dom)
    Der Betzenberg in Kaiserslautern. Ein Stadion als Erinnerungsort (Dr. Markwart Herzog, Irsee)
    Der Vortrag stellt die Geschichte des Betzenbergs als Erinnerungsort unter ganz verschiedenen, für die Sportgeschichte relevanten Gesichtspunkten dar. Zuallererst ist das Stadion Betzenberg ein Ort sportlicher Siege und Niederlagen, die sich tief ins Gedächtnis eingegraben haben. Die Erinnerung an die Dramen und Tragödien des Fußballs in der Hölle der „Roten Teufel“ auf dem Betzenberg binden zahllose einzelne Fans an den Club und den Berg – in vielen Fällen ein Leben lang, von der Wiege bis zur Bahre. Da die Anhänger ihre Erlebnisse an ihre Kinder und Kindeskinder weitergeben, entstehen generationenübergreifende bürgerliche „FCK-Familien“, die sich zur „Wahlfamilie“ des FCK bekennen und häufig in den seit 1970 entstehenden Fan-Clubs organisiert sind. Die Mitglieder der „FCK-Familie“ sind durch ihre Beziehung zum Betzenberg lokal verortet. Der Weg ins Stadion zum Spiel und vom Betzenberg zurück in den Alltag ist für sie ein wahrer Passionsweg.
    Über diese sportliche und soziale Dimension hinaus ist der Betzenberg auch ein religionshistorisches Phänomen. Schon in prähistorischer Zeit erfüllte der Berg kultische Funktionen, wie mehrere Funde von Menhiren beweisen. In der NS-Zeit wurde das Stadion Betzenberg zum Schauplatz antichristlicher, neuheidnischer Spektakel (Thingspiele, Sonnwendfeiern, Hitlerjugendfeste etc.), die eine andere Art von Gemeinschaft als die bürgerliche Vereinsfamilie stiften wollten.
    Darüber hinaus ist der Betzenberg ein Zeugnis der Wirtschaftsgeschichte. Früher wurde hier Sandstein gebrochen, aus dem beispielsweise die 1938 abgerissene Lauterer Synagoge erbaut wurde und viele Kaiserslauterer Häuser bis heute bestehen.
    Nicht zuletzt ist das Stadion Betzenberg eine jener Fußballadressen Deutschlands, an denen die fiskalischen Konflikte um den Scheinamateurismus des DFB in den 1920er und 1930er Jahren mit besonderer Intensität ausgetragen wurden. Stand das Vierteljahrhundert der Ära von Norbert Thines als Geschäftsführer und Vorsitzender noch im Zeichen klugen Wirtschaftens und erstaunlichen sportlichen Erfolgs, so führten waghalsige Finanzplanungen beim Ausbau des Stadions im Vorfeld der WM 2006 den FCK an den Rand des Bankrotts, mit bis heute andauernden, einschneidenden Folgen für die sportliche Stärke des Clubs.
    Der Betzenberg ist aber nicht nur ein Ort, der sich einen dauerhaften Platz im deutschen Fußballgedächtnis gesichert hat. Vielmehr bietet er überdies einen Rahmen für Erinnerungsrituale, die nicht dem Sport, sondern den Weltkriegsgefallenen gelten. Ein „Wahrzeichen“ für diese Zeremonien wurde 1925 mit einem „Ehrenmal“ im Stadion Betzenberg geschaffen, an dem bis heute am Totensonntag der gefallenen und verstorbenen Vereinsmitglieder gedacht wird. Ihnen wird auf diese Weise ein Platz im Vereinsgedächtnis gesichert, und der FCK konstituiert sich als eine Gemeinschaft der Lebenden und Toten. Seit der Jahrtausendwende ist der Betzenberg schließlich ins Stadium der Selbstreflexion eingetreten. Wissenschaftliche Untersuchungen, eine eigene Rubrik im Mitgliedermagazin des FCK, das FCK-Museum und intensive Recherchen von Hobbyhistorikern widmen sich der Geschichte des FCK und des Betzenbergs sowie den anderen Sportvereinen und Spielplätzen als Erinnerungsorten der barbarossastädtischen Kulturgeschichte.
  • Dienstag, 26.02.2013 (Haus am Dom)
    Der „Heilige Rock“ in Trier als Erinnerungsort (Prof. Dr. Wolfgang Schieder, Trier)
    Gedenken und Glaube benötigen als zentrale Elemente der Religion immer auch Orte, die diesem Glauben Raum bieten. Die Stadt Trier hat als Sitz des Erzbistums mit dem Dom und der Liebfrauenkirche gleich mehrerer solcher Orte. Aber auch ein anderes Element führt seit Jahrhunderten die Gläubigen zusammen: Der Heilige Rock.
    Zuletzt zeigte sich dies im vergangenen Jahr, als auch noch 500 Jahre nach seiner ersten Zeigung 1512 zahlreiche Pilger nach Trier kamen, um die Fragmente der Tunika Jesu zu bewundern. Die Zweifel an ihrer Echtheit sind dabei für das Thema der Vortragsreihe von sekundärer Bedeutung, denn als Reliquie ist der Heilige Rock zweifellos ein identitätsstiftendes Element der katholischen Kirche.
    Der Vortrag ermöglicht einen Einblick in das kollektive Gedächtnis der katholischen Kirche, aber auch der Bräuche vor Ort und zeigt den heutigen Umgang mit Erinnerungsorten auf.

  • Bitte beachten Sie den geänderten Termin!
    Dienstag, 05.03.2013 (Haus am Dom)
    Koblenz und das Deutsche Eck (Prof. Dr. Gabriele Clemens, Saarbrücken)
    Um 1900 entstanden über 300 Denkmäler für jenen Kaiser, unter welchem das Deutsche Reich gegründet wurde. Es war sein Enkel, Wilhelm II., der diese Denkmalswelle damals auslöste, die 1897 auch ihre Spuren in Koblenz hinterließ. Am Zusammenfluss von Rhein und Mosel wurde das pompöse Reiterstandbild festlich eingeweiht, welches die deutsche Einheit symbolisieren sollte und nationale Begeisterung und patriotische Gesinnung beim Volk hervorrief.
    Nach seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde das Standbild demontiert und stattdessen 1953 als Mahnmal die Bundesflagge gehisst. Erst seit 1993 befindet sich nach dem Einsatz privater Sponsoren wieder eine Kopie des Reiterstandbildes am Deutschen Eck in Koblenz.
    Erfahren Sie, wie es trotz der wechselhaften Geschichte dazu kam und warum das deutsche Eck mit und ohne Kaiser Wilhelm stets ein Erinnerungsort der deutschen Geschichte war. 

  • Montag, 11.03.2013 (Haus am Dom)
    Anna Seghers und Carl Zuckmayer in der Erinnerung der Mainzer (Peter Krawietz, Mainz)
    Im Rahmen der Vortragsreihe „Erinnerungsorte in Rheinland-Pfalz“ berichtet Peter Krawietz über Anna Seghers und Carl Zuckmayer. Nun sind Anna Seghers und Carl Zuckmayer keine „Orte“, doch „Erinnerungsorte“ können auch Personen sein.
    Dem Referenten geht es vor allem um das Verhältnis der beiden zur Heimat. Wie wird Mainz im jeweiligen Werk literarisch dargestellt? Die jeweilige Rückkehr aus dem Exil spielt natürlich eine wichtige Rolle, wobei sich schon andeutet, wie "die Leute" auf die jeweilige Berühmtheit aus Mainz reagiert haben.
    Dies bedeutet, dass auch die Ehrenbürgerschaften zur Sprache kommen und die unterschiedlichen Reaktionen darauf. Es stellt sich die Frage, ob es den beiden Gesellschaften – Anna-Seghers-Gesellschaft und Carl-Zuckmayer-Gesellschaft – gelungen ist, beim Mainzer Publikum ein Bild der beiden Literaten zu vermitteln, das den beiden Autoren gerecht wird.
    Denn das eigentliche Ziel all unserer Bemühungen ist es, jedem der beiden zu einer  gerechten Position in der  Literaturgeschichte zu verhelfen, d.h. Zuckmayer aus der Vorstellung vom nur urigen, trinkfesten Naturburschen und Autor lediglich vom "Fröhlichen Weinberg" und vom "Schinderhannes" zu befreien, weil er viel mehr war als nur das, und Anna Seghers literarisches Werk nicht untergehen zu lassen im ideologischen Grabenkampf des kalten Krieges, ohne die Schwierigkeit mit der politischen Vita völlig auszublenden. Der Vortrag soll zu einer etwas klareren Sicht beitragen.

Die Veranstaltungsorte:
Haus am Dom (Liebfrauenplatz, Mainz)
Erbacher Hof, Ketteler-Saal (Grebenstraße 24, Mainz)

Die Vorträge finden jeweils um 19.00 Uhr statt.
Alle interessierten Bürgerinnen und Bürger sind herzlich eingeladen!
Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.